Das Renten-Dilemma

Wie die Mainstreampresse berichtet (siehe BILD-Bericht) (BILD-Bericht als PDF) plädiert keine geringere Instanz als die Bundesbank für eine weitere Anhebung des Rentenalters. In kleinen Dosen verabreicht, soll der Bevölkerung so die Rente gekürzt werden.

Perfide ist das insbesondere deshalb, weil verbunden ist das Plädoyer mit der Behauptung, nicht nur die Arbeitszeit würde sich dadurch verlängern, was angesichts der massenweisen Wegrationalisierung von Arbeitskräften seit den 1970er Jahren (s. hier) schon ein Anachronismus ist, sondern angeblich würden die Leute auch länger Rente beziehen. Wie bitte? Wie denn das?

Was sie nicht sagen: Das wäre nur der Fall, wenn sich die Lebenserwartung deutlich erkennbar überproportional(!) verlängern würde. Davon kann man jedoch keineswegs ausgehen (s. Abb) bzw. (s. Statistik hier) und (statistische Prognose per Lebensalteruhr), insbesondere, wenn die Arbeitsbelastung (Intensitätserhöhung, Überstunden usw. – also was wir heute schon überall sehen – Thema Burn Out, Depressionen etc.) und die Lebensarbeitszeit sich gleichzeitig weiter erhöhen sollen!

Statistik - Entwicklung des Lebenszeitalters in Deutschland
Statistik – Entwicklung des Lebenszeitalters in Deutschland Quelle. de.statista.com

Der Vorschlag ist angesichts wachsender Produktivität und in Zeiten der berechtigten Forderung nach einem allgemeinen Grundeinkommen also nicht nur absurd, sondern basiert im Grunde auf einer dreisten Lüge, weil die Prognose bezüglich der Rahmenbedingungen unvollständig ist und nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht. Außerdem wird der ökonomischen Gesamtzusammenhang hinsichtlich der Auswirkungen der weiteren Technisierung verschwiegen. Der Vorschlag läuft also dem Trend der Automatisierung völlig zuwider. Die Bevölkerung wird schlicht gesagt für dumm verkauft.

Resultat der Krisenverschärfung

Mit dem Vorschlag der Bundesbank reagieren die kapitalistischen Instanzen in Wahrheit nur auf die öffentlich verschwiegene, innere Krise des Systems und den wachsenden Mangel an realer Mehrwertproduktion (vgl. akt. Stand der Wissenschaft dazu „Ein Widerspruch aus Stoff und Form“, Ortlieb/2008).

Zu erwarten ist vielmehr, dass sich in den kommenden 10-15 Jahren die Digitalisierung in der Produktion, im Handel, im Dienstleistungsbereich und bei Behörden, im Gerichtswesen u.v.a. Bereichen, also im primären, sekundären und tertiären Sektor der Gesellschaft durchsetzt und Rationalisierungspotentiale umsetzt, die alles bisher gekannte deutlich(!) übersteigen. Die Krise des Kapitals wird sich dadurch weiter verschärfen.

Die sich dadurch ergebende, reale Entwertung aller Kapitalformen wird bewirken, dass sich die Arbeitslosigkeit in Richtung 10 Mio. allein in Deutschland bewegen wird (vgl. hier). Manche Prognosen gehen sogar von 18 Mio. aus (siehe hier). Den damit einhergehenden Verlust an Kapitalvermehrung, Lohneinkünften und somit Einzahlern ins Rentensystem sieht die Bundesbank klar auf uns zukommen – deshalb erfolgt ihr Vorschlag. Anstatt das System jedoch zu ändern, was die historisch jetzt gebotene, richtige Lösung wäre, möchte sie die Menschen dazu verdonnern, einfach länger im heutigen System zu arbeiten.

Der vorgeschobene „Anpassungsbedarf“ wegen „demographischer Entwicklungen“ ist ein Scheinargument einer typisch neoliberalen, marktkonformen Ideologie. Demographische Entwicklungen könnten durch Produktivitätszuwächse (zumindest auf Seite der notwendig zu produzierenden Güter = stofflicher Reichtum) nämlich locker kompensiert werden. Dazu hat man sie ja (unter anderem). Nur auf der Seite des Kapitalismus (Geldzuwachs = abstrakter Reichtum) funktioniert das nicht mehr. In Wahrheit ist der Vorschlag der Bundesbank also einer, der nicht im allgemeinen Interesse der Bevölkerung liegt, obwohl sie natürlich genau das behauptet (= langfristige Stabilisierung des Rentensystems). Es geht dabei einzig und allein um den Erhalt des kapitalistischen Funktionssystems, nicht um die Menschen. Die Menschen sind dem System völlig egal und beliebig austauschbar.

Renten-Frage braucht eine adäquate Lösung

Eine Kapital gesteuerte Gesellschaft, in ihrer hoch entwickelten Phase, hat es im Kern also mit einem Dilemma zu tun, welches innerhalb der bisherigen Funktionslogik nicht mehr lösbar ist. Die Grenzen des objektiv möglichen sowie subjektiv zumutbaren sind erreicht. Getrieben von der Weltmarktkonkurrenz in der Globalisierung, versucht die Industrie die Produktivität durch den nächsten Schritt der totalen Digitalisierung (Industrie 4.0, Logistik 4.0 usw.) zu steigern und so wettbewerbsfähig zu halten, beschleunigt dabei aber automatisch und gesamtökonomisch gesehen das Abschmelzen der Mehrwertproduktion, weil die Substanz des Kapitals (= menschliche Arbeit) aus dem Prozess allmählich heraus genommen wird. Dadurch brechen die Einnahmen basierend auf menschlichen Arbeitslohn ein. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie lohnabhängig beschäftigt oder selbstständiger Arbeit nachgehen. Die Binnenkaufkraft kann dauerhaft nicht aufrecht erhalten werden. Das macht sich schrittweise überall bemerkbar. Das System untergräbt seine eigenen, ökonomisch-wertmäßigen Grundlagen (s. auch hier) und (hier). Bisher wurde das durch Staatskredite und die private Finanzwirtschaft künstlich noch aufrecht erhalten und quasi subventioniert (Fiat-Money, also fiktiv gebildetes Kapital durch Finanzderivate und Ausdehnung der Kreditwesens in der reinen Zirkulationssphäre des Geldes vgl. hier).

Eine ernst zu nehmende Lösung kann nur mit dem Trend, also mit der weiteren Automatisierung und langfristig vorwärts über den Kapitalismus hinaus gedacht werden. Erster vernünftiger Schritt wäre die Einführung eines – so könnte man es nennen –  SGE – eines Souveränen  Grundeinkommens (1.500 € / Stand 2019), das hoch genug ausfällt, um wirklich am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilnehmen zu können, ohne ökonomisch vom system erpressbar zu sein, also gewährt unabhängig vom bisherigen Lebens-Arbeitsbeitrag. Das würde alle Menschen eines Landes in ihrem Existenzrecht bedingungslos anerkennen und unabhängig vom individuellen Wertschöpfungsbeitrag stellen. Mit diesem Tabula Rasa hätten sich Altersarmut und das Renten-Dilemma auf einen Schlag erledigt. Wie man das sogar wertschöpfungsunabhängig finanzieren kann, ist hier bereits mehrfach erörtert worden (s. hier) und (hier).

Holger Roloff, den 22. Oktober 2019


Wohin geht ökonomisch der Trend (hier)

Die Krise des Tauschwerts – mit Vorbemerkungen (hier)

Digitalisierung im Kapitalismus (hier)

Debatte um eine Maschinensteuer (hier)

Zukunft der Arbeit – Automatisierbarkeit des eigenen Berufes erfahren (hier)

Im Jammertal von EZB und Niedrigzins (hier)

Wohlstand neu erfinden (hier)

Was bedeutet ein Epochenwechsel (hier)

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Author: Holger