Des Papstes Rotkäppchen und der böse Wolf

Nachdem der mit viel Pomp und großer Medienpräsenz inszenierte Papst-Besuch ihr für ihre Verschuldungspolitik mit dieser Geste die „moralische Absolution“ erteilt hatte, folgte nun zeitnah die Rechtfertigung vor einem deutschen Millionenpublikum per Interview der Kanzlerin bei Günther Jauch in der ARD (mehr). Sie hatte sich übrigens selbst dahin „eingeladen“. Eigentlich sollten Thomas Gottschalk und andere als Talkgäste kommen, um über den Papstbesuch zu plaudern…doch dann meldete sich unerwartet die Medien-Abteilung des Kanzleramtes. Ein Zufall so kurz nach dem Papstbesuch? Wohl kaum…(mehr).

Talk-Show Merkel Jauch 25.09.2011

Angela Merkel ist in ihrer Funktion als Deutsche Bundeskanzlerin (mehr) eine systemtypische Charaktermaske des Kapitals. Sie versucht gegen jede Vernunft und alle sozialen Widerstände das kapitalistische Akkumulationsregime in Europa aufrecht zu erhalten…selbst wenn letztlich in Griechenland (mehr) dafür Leute in Armut und Hunger stranden. Das nimmt sie mit ihrer „christlichen Nächstenliebe“ und vollem Magen gern in Kauf. Jetzt zeigte sie ihr wahres Gesicht. Sie ist quasi eine moderne „Margaret Thatcher“. Sie versteht sich geübt darauf, den berechtigten Fragen ihres journalistischen Gastgebers schlichtweg auszuweichen. Ihre optimistischen Aussagen und Beteuerungen zur Zukunft wirkten nicht überzeugend.

Das Postulat „man müsse da nur etwas wieder in Ordnung bringen“ beispielsweise, ist eine typisch inhaltslose und deshalb gern bemühte Floskel, weil das, was da nicht „in Ordnung“ sei, lag nicht nur an mangelnder Produktivität oder schlechtem Management bei Opel oder etwa unzureichender Organisation und Durchschlagskraft der staatlichen Gewalt zur Durchsetzung der Besteuerung in Griechenland, sondern in der Endkonsequenz ist es die ganze Logik und Unmöglichkeit des Kapitals selbst, sich ewig und ungestört in den Kategorien seiner Inwertsetzung (abstrakte Arbeit, Warenform, Geldform) bewegen zu können, denn das würde als notwendige Bedingung(!) ein unbegrenztes Wachstum benötigen.

Genau das sinkt jedoch nachweislich weltweit seit den 60/70er Jahren. Neue Akkumulationspotentiale, die das vielleicht noch einmal wenden könnten, sind Weit und Breit nirgends in Sicht. Vielen Ländern ist eine wertmäßige Umkehr, allein bedingt durch den technologischen Rückstand, dessen Überwindung gewaltige Summen verschlingen würde, in so einem Umfeld einfach nicht mehr möglich. Man kann die Uhren der Wertakkumulation weder zurück in die „guten alten Zeiten“, noch sprunghaft nach vorn in ein „technologisches Wunderland“ drehen.

Und selbst wenn die allerneueste Technik zum Einsatz kommt, ist die ja gerade dadurch charakterisiert, dass wenige Menschen für die Inbetriebnahme ausreichen. Die große Masse der Menschen im Süden Europas wird aus Sicht des produktiven Kapitals nicht mehr benötigt, übrigens auch einschließlich all der jungen Leute, die jetzt in den nordafrikanischen und arabischen Ländern blutige Revolutionen durchgestanden haben. Sie hoffen ebenso vergeblich auf eine Teilhabe an den verheißungsvollen Segnungen des Konsumwestens. Noch träumt man dort davon. Das wird für die meisten leider bald der bitteren Realität weichen, sobald sich herausstellt, dass dieses „Wunderland“ eine Fata Morgana ist.

Talk-Show Merkel Jauch 25.09.2011

Ganz im Gegenteil. Der Konkurrenzdruck auf den Märkten wächst, was zu noch größeren Kosteneinsparungen an menschlicher Arbeitskraft zwingt. Das wiederum erfordert immer höhere Vorauskosten für technische Aggregate, die oft nur noch über zusätzliche Verschuldung realisiert werden können. Deshalb steigen die Kredite und damit die Zinsbelastung, was das Problem nicht löst, sondern verschlimmert. Es ist die Logik der Marktwirtschaft selbst, die an ihre absolute innere Grenze stößt. Da der Staat davon abhängig ist, weil er eben genau diese Mehrwertproduktion besteuern muss, liegt in ihm auch kein dauerhaftes Potenzial zur Krisenüberwindung, wie uns die politischen Eliten einschließlich Frau Merkel gerne Glauben machen wollen. Der Staat ist vielmehr der größte gesellschaftliche Konsument und mangels ausreichender Wachstumsrate selbst bis über alle Maßen verschuldet.

Nur der deutsche Exportüberschuss zaubert der Kanzlerin noch ein Lächeln ins Gesicht, dessen Kehrseite jedoch die Schulden von Irland, Italien, Spanien oder Griechenland darstellen. Ein Land wie Griechenland könnte also „sparen“ bis zum jüngsten Tag, ohne sich je aus dieser Unlogik ernsthaft befreien zu können. Was da lautstark eingefordert wird, dürfte sich deshalb kaum realisieren lassen. Andernfalls müsste die dortige Produktivität im nächsten Jahrzehnt einen derartigen Vorsprung in Sachen Technologie und somit in Qualität und Quantität machen können, dass sich die Warenströme zwischen Griechenland und der BRD umkehren und somit die Verhältnisse wertseitig wieder etwas gerade rücken könnten.

Eine realistische Vorstellung? Dazu schweigt die Kanzlerin lieber. Aus gutem Grund. Ihre Rethorik vom „endlich die Hausaufgaben machen“ wendet sie nur an, weil sie insgeheim darum weiß, das genau das nicht passieren wird. Selbst gegenüber anderen Ländern wie Frankreich hatte sie außerdem zuvor alle Forderungen dem deutschen Exportüberschuss mehr Importe entgegenzusetzen kategorisch abgelehnt. Das verrät uns, wie ihre Europapolitik in Wahrheit aussieht – sie basiert auf  Konkurrenzdenken.

Die kapitalistische Wertschöpfungslogik (Marktwirtschaft) geht historisch dem Ende entgegen. Auf die Wertschöpfungskrise der 1970er Jahre folgte der Neoliberalismus mit seiner Verlängerung der Kreditlinien, einer Flucht des Kapitals auf die Weltmärkte (Globalisierung) und seiner Deregulierung der Finanzmärkte (Finanzderivate, Hedgefonds usw.). Im Moment wird die ganze Marktwirtschaft weltweit nur noch notdürftig durch Staatskredite zusammengehalten. Selbst China bekam diese Woche laut einschlägigen Meldungen das große Zittern um den EURO, denn ob die USA weiter ihre Warenströme aufnehmen werden ist angesichts der dortigen Krisendimensionen mehr als fraglich.

Wenn der Rückgriff auf die keynianistische Staatsdoktrin genauso scheitert wie in den 70ern (zur Rettung des fordistischen Wohlfahrts-Staates), dann ist bald Schluss mit lustig und all die kleinbürgerlichen Illusionen, Ideologien und Ressentiments werden hoch kommen und sich in ihrem „strukturellen Antisemitismus“ versuchen gegenseitig mit angeblichen „Lösungen“ reduziert auf Zinskritik, „fließendem Geld“, „Freigeld“, „Regionalgeld“, „dem Dritten Weg“, „zurück zur DM-Beführworter“ usw. zu überbieten, wobei das bekanntlich noch die harmloseren Varianten sind. Noch weiter „rechts“ davon huldigt man ja sogar schon wieder dem befreiten „Nationalstaat“ und dem „Völkischen“, was den Ablauf der Geschichte der letzten 100 Jahre völlig ignoriert.

Talk-Show Merkel Jauch 25.09.2011

Ebenso wenig kann ein keynianistischer EU-EURO-Rettungsschirm das Problem des Mangels an Wertschöpfung dauerhaft ausgleichen. Sondern umgekehrt – die Verschuldungslogik seit 1980 hat die „Realwirtschaft“ noch künstlich über den Totpunkt der marktwirtschaftlichen Wertschöpfung hinaus am Leben gehalten. Der Vergleich mit Opel hinkt gewaltig. Im Kern traut die Kanzlerin deshalb auch ihren eigenen Argumenten und Beteuerungen nicht mehr. Günther Jauch hat ihr das mit dem gezielten TV-Rückblick ihrer eigenen Rede im Bundestag am 27.10.2010 auch noch mal ganz deutlich vor Augen und die Aussagen der Kanzlerin damit ad absurdum geführt. Es wunderte daher nicht, dass es auffällig bemüht wirkte, wie die Kanzlerin reagierte und versuchte ihren eigene Negation erneut zu positivieren, wie es sich für eine Vertreterin der kapitalistischen Herrschaftseliten auch gehört. Sie wurde insofern ihrer Rolle vollends gerecht.

Hier gibt es definitiv nichts mehr zu beschönigen oder zu reformieren!!! Auch Schirme aufzuspannen kann gegen diesen finanztechnischen Regensturm nicht ernsthaft helfen. Die Staaten und ihre Protagonisten können die Krise nicht dauerhaft überwinden, sondern den Niedergang nur noch verwalten. Deshalb windet sich eine Kanzlerin Merkel rethorisch, was unfreiwillig für entsprechende Lacher im Publikum Anlass gab. Man konnte sehr gut erkennen, wie sie sich selbst etwas versuchte vorzumachen, um ja an ihrer gepflegten und komplett nostalgischen Illusion der „sozialen Marktwirtschaft“ festzuhalten und als das „gute Rotkäppchen“ (Krisenbezwingerin) sich ja nicht dem „bösen Wolf“ (Krise) zum Fraße opfern zu müssen. Verständlich, dass sich „Rotkäppchen“ vor diesem Talk auf dem heißen Stuhl, noch gern den Segen des Papstes einholte…

Autor: Holger Roloff

Nachtrag vom 11.09.2012: zum politischen Standpunkt der Bundeskanzlerin Angela Merkel (hier als PDF)

Nachtrag vom 06.10.2013: Über die Verstrickung des Vatikan in das europäische und internationale Kapital (mit zahlreichen Schwarzgeldkonten) berichtet inzwischen auch der SPIEGEL Online (hier)

Nachtrag vom 29.12.2013: Die im Ausgangsartikel formulierte Kritik bestätigt sich nun im Nachhinein auch durch die Denkweise des 2013 neu gewählten Papstes Franziskus, der ganz andere Schlussfolgerungen zu ziehen in der Lage ist – hier am Bespiel des bei JUNGE WELT Online veröffentlichten Artikels „Dem Kapital an die Wurzel“ (hier).

Hier plaudert ein Politischer-Kabarettist mal über seine Beweggründe und Einsichten aus mehreren Jahrzehnten Beobachtung der Politik (Video). Sehr lesenswert auch die Fakten unter dem Video (auf MEHR ANZEIGEN klicken).

Hat die Kanzlerin Alzheimer? Kennt sie keine Geschichtsbücher? – ein Bär philosophiert über politische Zusammenhänge der Weltgeschichte (Video)

Merkels „Konzept“ basiert auf dem Wunsch „marktkonformen Demokratie“ (also der Diktatur des Marktes). Ihre Art von Politik ist eine der inhaltsfernen Politiklosigkeit, voll mit Widersprüchen in sich selbst. Das spiegeln auch Umfragen wider. Dafür hat sie einen „Duktus“ – Politkabarettist Volker Pispers klärt auf (hier)

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Author: Holger