Heute ist in der Online-Ausgabe der TAZ ein bemerkenswertes Interview mit dem US-amerikanischen Soziologen und Ökonom Jeremy Rifkin erschienen (hier). Er ist bekannt als Autor des wegweisenden Buches „Das Ende der Arbeit“. Bemerkenswert ist heutiges Interview in dreierlei Hinsicht.
Erstens reflektiert Jeremin Rifkin dabei vorausschauend, dass sich die Technik im 21. Jahrhundert so weit entwickeln – und somit die dritte industrielle Revolution – so weit voranschreiten kann, dass sie nicht nur durch die mikroelektronische Rationalisierung (Computer, Roboter, Internetvernetzung usw.) massenhaft menschliche Arbeit überflüssig macht, sondern das damit letztendlich das Grundprinzip des Bedienens von Lebensbedürfnissen durch Wertverwertung im Markt (Grundprinzip „aus Geld mehr Geld machen“, „Geld verdienen“, „Plusmacherei“, „Kapitalverwertung“) in Frage gestellt wird.
Rifkin macht das Problem an den Grenzkosten fest, die allmählich gegen Null gehen. Das hieße dann übersetzt nichts anderes, als dass das Kapital sich allmählich selbst negiert. Es wird sich zunächst auf Seite der Nutzer und Anwender der Effekt einstellen, dass die Produktionsmittel ökonomisch demokratisiert genutzt werden, so dass normale Arbeitsverhältnisse, die bislang durch den Markt reguliert wurden, allmählich überflüssig werden. Anstelle dessen ist zu beobachten, dass die Konsumenten nun zu Produzenten – also sogenannten Prosumenten werden.
Rifkin spricht in seinem neuen Buch „Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft“ bewusst von einem absehbaren Ende des Kapitalismus. Das erscheint nachvollziehbar, wenn man die Umstände und systemimmanenten Zwänge berücksichtigt. Der Kapitalismus, so anpassungsfähig er auch bislang gewesen sein mag, kann eines nicht: seinen eigenen ökonomischen Gesetzen entkommen.
Wenn diese Marktgesetze ihn selbst – bedingt durch die universelle Konkurrenz – zwingen, permanent die Kosten zu senken, ist folgerichtig, dass sich das System automatisch selbst seiner Grundlagen beraubt, entweder zusammenbricht, oder in etwas Anderes, völlig Neues verwandeln könnte. Zumindest kann man sicher voraussagen, dass es mangels Einkommensmöglichkeiten (denn Maschinen erhalten keinen Lohn) langfristig unmöglich wird, den sozialen Frieden und damit das Funktionieren von Gesellschaft ganz allgemein aufrecht zu erhalten, was weltweit schon längst in vielen peripheren Regionen sichtbar wird und zu Gewalt und Kriegen führt.
Die Einsicht unserer Zeit lautet in der Summe demnach: Der Trend geht dahin, das aus dem „könnte“ allmählich Gewissheit wird.
Zweitens ist das Interview mit Jeremy Rifkin auch deshalb bemerkenswert, weil es andere theoretische Ansätze bestätigt. Ähnlich – aber auf höherem, abstrakterem Niveau – argumentieren wertkritische Soziologen und Theoretiker, wie z.B. der deutsche Autor Robert Kurz.
Kurz wies bereits 1986 in seinem Artikel „Die Krise des Tauschwertes“ (hier) sowie weiteren Büchern darauf hin, dass mit dem Beginn der dritten industriellen Revolution (mikroelektronische Rationalisierung aller Lebensbereiche und der Produktion von Gütern) zwangsläufig die grundlegenden Widersprüche des kapitalistischen Systems reif werden und damit die Warenform und in der Folge letztlich auch die Geldform nicht aufrecht erhalten werden können. Das Quantum an gesellschaftlichem Arbeitsaufwand, so seine Argumentation, sinkt. Das bremst die Wertverwertung langfristig aus. (hier neu)
Die stetig wachsende Menge des historisch angehäuften Kapitals muss sich quasi durch ein immer kleineres Nadelöhr von mehrwertschaffenden Verwertungsmechanismen zwängen. Das wird zunehmend nicht nur schwieriger, sondern für die gigantische Wertmasse aus der Kapitalakkumulation irgendwann zwangsläufig unmöglich, weil die Masse der Menschen nicht mehr als produktive Arbeitskräfte benötigt wird. Deshalb flüchtete das überzählige Geldkapital schon vor Jahrzehnten (seit 1980) zunehmend auf die Aktien- und Finanzmärkte, wo es rein virtuell und fiktiv versuchte sich durch reine Zirkulation von Finanztiteln zu vermehren und somit die Wertschöpfung und Arbeitsgesellschaft künstlich zu simulieren (vgl. „Schwarzbuch Kapitalismus“ [hier] und „Das Weltkapital“ [hier], beide R.Kurz).
Das sinkende Arbeitszeitvolumen belegt übrigens auch die normale, bürgerliche Statistik. So sind beispielsweise von 1992 bis 2010, umgerechnet auf einen 8 Stunden Tag, 1,8 Mio. Vollzeitstellen in Deutschland abgebaut worden, also durchschnittlich 100.000 pro Jahr. Die derzeit viel gepriesenen 42 Mio. „Arbeitsplätze“ in den Statistiken der BfA täuschen folglich über die wahren Verhältnisse hinweg, insbesondere, wenn man weiß, wie diese Zahlen (politisch motiviert) zustande kommen und das ein wachsender „Billiglohnsektor“ darin enthalten ist.
Der deutsche Mathematiker Claus Peter Ortlieb untermauerte diese Begründung noch und stellte die Wertkritik auf solide Modellgrundlagen, indem er den Ansatz von Robert Kurz aufgriff und die Logik der Marktgesetze, sowie die stofflichen und wertmäßigen Größen in Bezug zueinander setzte (vlg. „Ein Widerspruch von Stoff und Form“, 2008, hier).
Wenn die TAZ-Leser und Leser des aktuellen Buches von Jeremy Rifkin den Gedanken sacken lassen, dürfen wir wohl gespannt sein, was als Reaktion passiert. Das typische „immer so weiter wie bisher“ ist dann ja nicht mal mehr gedanklich möglich, geschweige denn praktisch und politisch. Neben den Grenzen des Wachstums (äußere Schranke) errichtet sich laut Robert Kurz allmählich auch eine innere Schranke der Kapitalverwertungsprozesse. Damit stehe das Wertschöpfungsprinzip zur Disposition (vgl. TV-Interview mit R. Robert 2004 in 3sat „Kulturzeit“ ).
Diese Einsicht in die Entwicklungsrichtung hat Konsequenzen. Eine solche wäre z.B. die Einführung eines BGE – also Bedingungslosen Grundeinkommens (am besten und konsequentesten wäre es wertschöpfungsunabhängig finanziert per Lebensgeldschöpfung durch eine Monetative, siehe hier). Eine andere wäre die Erweiterung dieses Ansatzes auf ein ebenfalls wertschöpfungsunabhängiges Arbeitsgeld, (ebenfalls per Monetative) solange wir ökonomische Sozialbeziehungen überhaupt noch an die äußere Fetisch-Form des Geldes binden – denn auch das wird – parallel zur technischen Entwicklung – historisch irgendwann überflüssig. Eine Welt ohne Geld und alle damit verbundenen Probleme, wird somit denkbar – und bereits aktiv gedacht, gewollt und eingefordert (siehe FREIE WELT CHARTA hier).
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Drittens ist anzumerken: Dieser Trend wird bereits voll erfasst im Wirtschaftskonzept der Violetten (hier), welches bewusst als „Wirtschaftsvision“ bezeichnet wurde, um die Wahrnehmung einer langfristig emanzipatorischen Alternative und Transformation der gegenwärtigen Form der Marktwirtschaft in eine Ressourcenwirtschaft zu betonen, die allmählich immer weniger auf abstraktem Wert basiert und letztlich auch ohne Geld auszukommen vermag. Denkbar ist es. Machbar – Dank moderner Technik – ebenfalls.
Die Frage ist also nur: Was wünschen wir uns? Wie wollen wir in Zukunft leben?
Holger Roloff, 01. Oktober 2014
Artikel TAZ: (hier)
Kapitalismus wertkritisch erklärt (hier)
Warum der Kapitalismus enden muss schildert der Physiker Harald Lesch (Video hier) und benennt auch physikalische Gründe (hier)
Zu all dem oben Genannten kommt eine schwer wiegende Strukturfrage insbesondere der deutschen Industrie hinzu – „Mr. Dax“ Dirk Müller erzählt im Interview in Seelenruhe, auf uns zukommt (Video)
Es droht im Zuge der historischen Entwicklung des Kapitalismus ein Ende der Globalisierung und somit der Übergang vom Neoliberalismus zum Neonationalismus – Analyse bei TELEPOLIS vom Autor Tomasz Konicz (hier) einhergehend mit einem Angriff seitens China auf die Dominanzrolle des Dollar (hier)
Warum man stets nur Sündenböcke sucht, anstatt die Ursachen in den Strukturen des kapitalistischen Systems selbst zu suchen – ein analytischer Wortbeitrag bei KenFM deckt die dahinter liegende ideologische Denkform auf (Audio hier)
Das Politkabarett weiß sehr genau, wo wir uns quasi wie eine „Titanic“ geschichtlich befinden und was als gesellschaftliche Aufgabe ansteht – Abschied von der Vollbeschäftigung (Video)
Warum der Kapitalismus sehr chaotisch und brutal zu enden droht – erläutert von Ulrike Hermann bei Radio F.R.E.I. (Audio)
Das Manager Magazin schaut voraus und erkennt ab 2020 massive Probleme in der Arbeitswelt. Der heutige „Fachkräftemangel“ wird dann überkompensiert (hier)
Der drohende Kapitalkollaps und die Angst der Profiteure – ein Kommentar von Susan Bonath Tagesdosis vom 13.08.2018 bei KenFM macht den Widerspruch von steigender Produktivität und Fall der Profitrate deutlich (hier)
„System Error“ – ein Film über das Festhalten am religiösen Irrglauben des Wachstums als unabänderlicher Naturtatsache. Das funktioniert nur als quasi Religion mit reichlich kognitiver Dissonanz und blinder Flecken der Wahrnehmung (Trailer). Bericht bei ttt (Video) Hier ein Interview mit dem Regisseur Florian Optik (Video)
ZDF Doku (2018) zur Finanzkrise entlarvt die tatsächliche Rolle der Deutschen Bank. Dabei offenbart sich ganz nebenbei die totale Unfähigkeit der politischen Elite ihr eigenes System namens Kapitalismus zu verstehen. Alle Beteiligten schätzten die Lage völlig falsch ein und trafen falsche Entscheidungen. Und das läuft bis heute ungebremst und unverstanden so weiter. Ein Bezug zur „Realwirtschaft“ wird selbst in der Doku nicht erwähnt, obwohl die Krise primär eine Krise der Arbeitsgesellschaft (1970er Jahre) ist (hier).
Imperialismus ist ein Entwicklungsstadium des Kapitalismus – ein Kommentar von Susan Bonath am 01-10-2018 Tagesdosis bei KenFM (hier)
Die Zukunft des Kapitalismus, sein Wesen, sein Charakter, Konkurrenz, Sozialabbau, austauschbare Politiker – ein Kommentar von Susan Bonath zum inneren Zusammenhang von allem in unserer Gesellschaftsform bei Tagesdosis 5.11.2018 (hier)