Europa steckt schon wieder (oder besser immer noch) in einer handfesten Krise. Diesmal erscheint sie äußerlich als eine Krise des Geldes. Es klingt im Jahr 2019 so, als wären wir mitten in einem Jammertal. Immer lauter sind die Klagerufe gegen die Europäische Zentralbank (EZB) und ihre Geldpolitik zu hören. Das bürgerliche Subjekt beklagt die Niedrigzinsen und malt sich in der Folge eine Tragödie nach der anderen aus. Meine Rente, meine Ersparnisse…oh jee… Da fällt die Politik gerne in den Chor der Jammernden ein. Und was macht die Presse? „Deutschland droht die Dexit-Debatte“, titelt z.B. DER SPIEGEL Online (hier) und (als PDF). Müssen wir da einstimmen?
Geld- und Zinskrise sind nur die Oberfläche
Wer versteht, wie Kapitalismus eigentlich funktioniert und welche widersprüchliche Dynamik ihm innewohnt, der kann auch erklären, was die eigentliche Ursache für die Krise ist. Die Geldpolitik der EZB jedenfalls nicht. Kein Banker verzichtet freiwillig auf Zinsen. Die EZB reagiert mit ihrer Niedrigzinspolitik vielmehr nur auf die innere Krise des Kapitals.
Diese Krise ist im Kern die Wertschhöpfungskrise der 1970er Jahre, die nie behoben, sondern nur immer weiter nach hinten verschoben wurde. Sie hat sich in den 80er/90er Jahren durch innovative Sprünge in der Technik, insbesondere das Aufkommen sehr schnell getakteten PCs und deren massenwirksame Vernetzung zum Internet beschleunigt, weil damit enorme betriebliche Rationalisierungspotentiale einhergingen. Ende der 90er Jahre setzte man große Hoffnungen auf die „New Economy“ am „Neuen Markt“ der Börse. Erinnert sich noch wer? Man träumte vom nächsten großen Aufschwung, an den heute nur noch Karikaturen erinnern (wie hier) und (hier). Wo ist das geblieben? Richtig, es ist derart kollabiert, dass das gesamte Börsensegment „Neuer Markt“ eliminiert werden mußte. Alles schon vergessen? Oder ist es seit dem wieder besser geworden? Keinesfalls. Alan Greenspan (FED – der amerikanischen Notenbank) zog 2001 die Notbremse, damit der Weltkapitalismus nicht völlig abschmierte und drehte alle Geldhähne gleichzeitig auf (der so genannte „Sündenfall des Neoliberalismus / Monetarismus“), in der Hoffnung, das würde die Wirtschaft wieder ankurbeln (vgl. „Das Weltkapital“, R. Kurz).
Spekulation anstatt Produktion
Doch das Geld floss mangels zu erwartender Gewinne aus realer Warenproduktion natürlich nicht in die Realwirtschaft, sondern in die Spekulation mit Immobilien einerseits und fiktiven Geldanlagen (Finanzderivate) andererseits, um dort quasi Mehrwertproduktion zu simulieren. Das crashte ebenfalls, nämlich 2007/2008. Seit dem hat sich die Technik noch weiter entwickelt (Web 2.0) und das Spekulieren ging nahezu ungehemmt weiter. Die „innere Schranke der Kapitalverwertung“ (Robert Kurz) macht sich zunehmend geltend und läutet allmählich das Ende des Spätkapitalismus ein (vgl. „Der Kollaps der Modernisierung“, R. Kurz). Es wird immer teurer, nach kapitalistischen Kriterien Arbeitskräfte erfolgreich anzuwenden. Also hat man über Jahrzehnte Produktion in Billiglohn-Länder verlagert und im Inland auch einen wachsenden Billiglohnsektor etabliert, indem man die Menschen künstlich über das Hartz IV System arm gerechnet hat. Man wehrte sich in Deutschland sogar ewig gegen einen Mindestlohn und malte dessen Einführung mit Horrorszenarien aus. Erneut hoffte man gleichzeitig auf den großen Aufschwung, ohne das der wirklich in Sichtweise geriet, wovon wieder nur Karikaturen blieben (s. hier) und (hier).
Das kapitalistische System ist in Wahrheit nicht nur moralisch-ethisch am Ende, sondern wird auch wirtschaftlich nur noch mit der heißen Nadel (Kreditwesen, Spekulations- und Scheingewinne) am Leben gehalten. Würde es hingegen ein sich selbst tragendes Wachstum mit ausreichender Mehrwertproduktion geben, wäre all das historisch nicht notwendig gewesen. EZB-Chef Mario Draghi experimentiert mit Zinsvarianten, um erneut einen Hoffnungsschimmer von Aufschwung zu erzeugen (s. hier). Doch der Kapitalismus ist längst zu seiner eigenen Real-Karikatur geworden.
Hilfe, was bloß tun – schreit die EZB
Was die EZB macht, ist ein verzweifelter Hilfeschrei, eine Notmaßnahme, weil eigentlich längst nichts mehr geht. Und nun steht Industrie 4.0 vor der Tür. Ein kleiner Teil des billigen Kredit-Geldes der EZB könnte da noch investiert werden, was das Gesamtproblem langfristig jedoch verschärfen wird. Dann geht der Jobkahlschlag nämlich erst richtig los. Lediglich ein breit gestreutes BGE nach dem Helikopter-Prinzip könnte das eine Zeitlang etwas abmildern und etwas Kaufkraft zurück bringen. Aber auch das wird das Problem dauerhaft nicht lösen.
Was wir wirklich brauchen, ist ein völliges Umdenken und eine Strategie zur „Demonetarisierung der Gesellschaft“ (vgl. „Der Systemwechsel“, Lieberg 2018). Das geht aber nur, wenn die gesamte, auf dem Kapitalgedanken basierende Produktions- und Lebensweise umgewälzt wird. Aufzuheben und zu überwinden sind die Warenform, die Form der abstrakten Arbeit, so dass auch Geld überflüssig wird, um leben zu können. Alles andere sind Illusionen. Es wird kein ausreichendes Wachstum mehr geben, ohne auch noch den Rest an Naturgrundlagen auf dem Planeten Erde zerstören zu müssen (s. Blog Postwachstum). Da stößt das heutige System auch an die „äußere Schranke der Kapitalverwertung“ (R. Kurz). Die ist absolut und sozusagen nicht verhandelbar. Da kann es keine Kompromisse geben, sondern nur die Einsicht, sie zu respektieren. Sonst wird es bitter, weil richtig destruktiv. Schon jetzt tobt weltweit ein neues Wettrüsten, um im Ringen um die letzten Ressourcen bestehen zu können. Doch das ist unsinnig, denn es handelt sich um ein rein sozial-ökonomisches Problem. Gefragt sind kritische Soziologen und eine kategoriale Kritik, die Grundlagen für Lösungen aufzeigen.
Ressourcenwirtschaft anstatt Marktwirtschaft!!!
Die Lösungen gibt es längst. (s. hier), (hier) und (hier) Woran es mangelt sind Einsicht und der Wille weiter Teile des bürgerlichen Subjektes, egal ob in der EZB, der Politik oder in Betrieben tätig. Niemand sagt, dass das hier beschriebene zu tun einfach wäre. Keineswegs. Da sind schon viele Theoretiker gescheitert oder stehen aktuell in der Kritik, sogar die Idee der „Gemeinwohlökonomie“ nach Christian Felber (s. hier), die zwar gut gemeint ist, aber ein nicht ausreichendes Verständnis von den tieferen Zusammenhängen im Kapitalismus mitbringt und dadurch von falschen Voraussetzungen ausgeht. Immerhin hat diese Theorie aber soviel Ernsthaftigkeit, durch eine Kritik der Wertetheorie gewürdigt zu werden, was man von vielen anderen nicht behaupten kann. Doch es gibt für alles eine Lösung, wenn man das Problem erst adäquat verstanden hat. Deshalb gilt es am Ball zu bleiben und sich für den gesellschaftlichen Wandel einzusetzen. Nicht jammern, sondern selber denken!
Holger Roloff, 04. August 2019
Das Modell der Zukunft heißt Ressourcenwirtschaft basierend u.a. auf COMMONS als zentraler Kernbaustein einer neuen Ökonomie (hier)
Auch ein „Green New Deal“ wäre bei näherer Betrachtung eine Mogelpackung, die das Gegenteil erzeugen würde von dem, was propagiert wird – Ernst Wolff bei Tagesdosis 5.9.2019 (hier)
„Immer mühsamer halt sich die Profitrate“ – ein Theorie-Buch von Knut Hüller über die werttheoretische Seite und das reale Praxis-Dilemma im Spätkapitalismus. Die Zusammenhänge sind sehr komplex. Der Autor beleuchte sehr tief gehend die Gründe. (hier eine Inhaltsangabe) und hier das gesamte (Buch als PDF)
Erpressung im großen Stil – Wirtschaften in der EU – so läuft es mit der EZB – Die Anstalt vom 28.05.2019 (Video)
Digitalisierung im Kapitalismus (hier)
Debatte um eine Maschinensteuer (hier)
Die 4.Dimension als unlösbarer Widerspruch des Kapitals (hier)
Das Goldene Kalb namens Arbeit (hier)
Wohin geht der ökonomische Trend…? (hier)
Glauben, Geld und Warenform… – eine Kritik des Schuldprinzips (hier)
Wohlstand neu erfinden – welche echten Alternativen es gibt (hier)
Was bedeutet ein Epochenwechsel – ein größer Blick auf den Wandel (hier)
Abrüstungsvorhaben jetzt unterstützen (hier)
Für eine globale Friedenspolitik (hier)
Repariert nicht, was euch kaputt macht! – ein Plädoyer für das gute Leben der Streifzüge-Redaktion Wien (hier)
Friederike Habermann – „Wir werden nicht als Egoisten geboren“ (hier) und (als PDF)
Fabian Schilder: 16-Punkte-Programm für den sozial-ökologischen Umbau (hier)
Die Erd-Charta (hier)
Die Freie Welt Charta (hier)
Brandherde im Nahen Osten und im Finanzsystem – die nächste Krise des Kapitalismus steht bevor – Ernst Wolff für Tagesdosis 14.10.2019
Das Thema Transaktionssteuer belegt es – unsere Regierungen sind Meister der Idiotie und regelecht bösartig gegenüber dem Bürger eingestellt (Video)
Die Reichen spielen mit anderen Karten und ziehen die Masse der Lohnabhängigen durch Verschuldungen und Gelddrucken über den Tisch – unsere Zukunft wurde vom Neoliberalismus bereits verschachert – Robert Kiyosaki (USA) berichtet (Video)
Finanztransaktionssteuer als Rettung? Weit gefehlt!!! Dirk Müller klärt auf (Video)
Die Geschichte der Marktwirtschaft geht ihrem Ende entgegen, da ihre Wachstumsdynamik unerbittlich an die äußere Schranke der Kapitalverwertung stößt. Dass der Kapitalismus aktuell überhaupt noch läuft, hängt am seidenen Faden der Gelddruckmaschinen (Video)
Wie der Kapitalismus durch den Neoliberalismus über seinen inneren Totpunkt hinaus durch Finanzderivate künstlich am Leben gehalten wurde, erklärt Chin Meyer im ZDF bei Markus Lanz auf humorvolle Art (Video)
Die Monetative wäre der erste Schritt in Richtung eines demokratisch organisierten Geldsystems, solange wir überhaupt noch Geld brauchen und es sinnvoll einsetzen können (Video). Der zweite Schritt zu mehr Gerechtigkeit wäre ein Souveränes Grundeinkommen (SGE / BGE) einzuführen (hier). Das würde das Rentenproblem lösen und Altersarmut beseitigen (s. hier) und (hier). Der dritte Schritt bestünde darin, ans Wertgesetz ranzugehen und die Wertschöpfung mit der permanenten Kapitalakkumulation zu überwinden, in dem Unternehmen schrittweise in Gemeingüter / Commons / Allende-Strukturen umgewandelt und dem Markt dauerhaft entzogen werden.