Die Crux mit dem kaufmännischen Rechnen

Der bekannte Ökonom und Leiter den ifo Institutes für Wirtschaftsforschung (sieheHans-Werner Sinn (info) hat zu einer speziellen Problematik der Euro-Krise ein Buch mit dem Titel „Die Target Falle“ (siehe) veröffentlicht. Er behandelt dabei die buchhalterische und kaufmännische Verkettung der empirischen Geldströme zwischen Gläubigern, Banken und Schuldnern, wobei der Europäischen Zentralbank EZB eine zentrale Rolle zukommt. Dabei komme es zu sogenannten „Target-Konten“ bei der EZB, auf denen Rechnungsforderungen zwischengeparkt werden können, die im laufenden kaufmännischen Geschäftsbetrieb einer Volkswirtschaft zwischen denen anderer Wirtschaftsgebiete sowie diversen Kapitalgebern entstehen aber nicht in den üblichen Zahlungszielen beglichen wurden. Das passiert zwischen normalen Geschäftsbanken natürlich auch, nur dass wenn diese Rechnungen nicht in der vereinbarten, geschäftsüblichen Zeitlinie beglichen werden können, es rasch zu Überschuldung und einer Kreditklemme kommt, denn die Geschäftsbanken reagieren entsprechend. Durch den Umweg über die EZB „Target-Konten“ wird erreicht, dass weitere, für die Finanzierung der erweiterten Reproduktion notwendigen Mittel per Kreditvergabe (also neue Schulden) gewährt werden können. So kommt zusätzlich frisches Geld in Umlauf. Würde man das nicht machen, würden massenhaft Betriebe stillgelegt werden und eine Rezession mit in seinen Folgen nicht einzuschätzendem Dominoeffekt drohen.

Näheres dazu findet sich auch in einem Artikel bei SPIEGEL-ONLINE vom Autor Christian Rickens „Auf verlorenem Rechnungsposten“ (hier).

Die Target Fall

Aus werttheoretischer Sicht ist folgender Kritikpunkt anzubringen:

Hans-Werner Sinn reflektiert lediglich einen Teil der Geldzirkulation, und zwar wie man es quasi buchhalterisch geschafft hat, dass System und seinen Geldfluß insgesamt am Leben zu halten und die Probleme in die Zukunft zu schieben. Er reflektiert aber nicht, warum diese Defizite überhaupt entstehen. Dann müsste er sich nämlich kritisch mit der kapitalistischen Produktionsweise von Wert an sich auseinandersetzen. Das wird man von ihm als normalen bürgerlichen Ökonomen, der die Marktwirtschaft positiviert, natürlich nicht hören… Genau das ist die Crux mit dem kaufmännischen Rechnen. Da man das Ursprungsproblem, den Mangel an Mehrwertproduktion, nicht lösen kann, bleibt der Politik, den multinationalen Konzernen und deren beiden Partner in der Finanzbranche – den Banken, nur eines übrig – nämlich die Abrechnungen und notfalls sogar die dazu notwendigen Abrechnungsregeln so zu ändern, dass der „Geldkreislauf“ nicht ins stocken gerät. Ansonsten wäre die Produktion und Reproduktion der gesamten Wirtschaftsregionen, Länder und Nationalwirtschaft, ja letztlich sogar des ganzen Euro-Wirtschaftsraumes womöglich stark betroffen, wobei Griechenland weniger als 2% Anteil am Gesamtaufkommen Europas hat. Kommen jedoch weitere Länder dazu, summiert sich das zu ernsthaften und bedrohlichen Größen, so dass man nicht einfach zur Tagespolitik übergehen kann, sondern sich gezwungen sieht, ein Krisenmanagement ins Leben zu rufen.

Der Grund ist eigentlich sehr simpel. Es handelt sich in Wahrheit nicht um einen „Geldkreislauf“ (das trifft nur vom Prinzip her zu, da Geld ein Umlaufmedium ist), sondern um eine „Geldspirale“ die wiederum auf einer „Arbeitsspirale“ basiert. Hinzu kommt, dass es auch Märkte mit ausreichender Kaufkraft und von Qualität und Preis her konkurrenzfähige Produkte als Warenströme und stofflichen Output geben muss, die als Ergebnis dieser „Arbeit-Geld“-Spirale in die Länder der Kapitalgeber zurückfließen, um wertseitig wenigstens einen Teilausgleich zu erwirtschaften. Genau das passiert jedoch nicht in ausrechendem Maß. Andere Ökonomen meinen (wohl nicht zu Unrecht), dass z.B. ein Land wie Griechenland das auch objektiv gar nicht leisten könne. Das gibt der vorhandene, historisch gewachsene Strukturmix aus Industrie, Redereien, Landwirtschaft, Dienstleistungen und Tourismus nicht her. Selbst die Vorstellung man könne in Griechenland große Solaranlagen installieren wird daran nichts grundlegend ändern.

Das Buch von Hans-Werner Sinn hat durchaus politisch große Brisanz. Es erscheint zu einem Zeitpunkt, an dem die Lage mehr als prekär ist.

Heute, am 09.Oktober 2012 besucht die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel zudem Griechenland – zum ersten Mal seit fünf Jahren. Zuletzt war sie also vor der „Finanzkrise von 2008“ dort. Diesmal dürfte sie allerdings vom griechischen Volk nicht mit offenen Armen empfangen werden, auch wenn sie offiziell diese Reise antritt, um „den Griechen“ ihre „Solidarität“  zu bekunden (zu ihren christlich demokratischen Werten hier mehr). Diese „Solidarität“ besteht darin, Griechenland im Euro-Raum zu halten. Das dient in Wahrheit aber eben gerade nicht primär „dem griechischen Volk“, wenn man damit den kleinen Mann auf der Strasse meint, der kräftig ausgelutscht und dem doppelt und dreifach das Fell über die Ohren gezogen wird, sondern vor allem den dortigen Kapitalisten  und Großverdienern, der umstrittenen Politikerkaste – und nicht zuletzt – dient diese Reise vor allem den Interessen des deutschen Großkapitals, welches auf vielfältige Weise in die von Hans-Werner Sinn durchaus treffend beschriebenen Kreditlinien und Geschäftsverbindungen verstrickt ist. Das deutsche Kapital ist sehr daran interessiert, dass die „Target-Konten“ Bestand behalten und nicht etwa platzen und die Gläubigerforderungen endgültig abgeschrieben werden müssen. Das würde über institutionelle Anleger wie Versicherungskonzerne und Banken übrigens auch massenhaft deutsche Kleinsparer, Versicherungsnehmer, Rentner usw. betreffen. Wir alle bilden zusammen das Kapital als gesamtgesellschaftliches Verhältnis.

Unser Dasein hängt somit nicht nur theoretisch, sondern sehr praktisch, d.h. direkt wertseitig mit dem Schicksal von Griechenland zusammen. Das im Hinterkopf behaltend gilt ansonsten, dass der neue ESM (Europäische Stabilitäts Mechanismus) vor allem die Banken retten soll – griechische und deutsche!!! Die Begeisterung der meisten Griechen dürfte sich folglich aus verständlichen Gründen in Grenzen halten.

Autor: Holger Roloff

weitere Artikel zum Thema Griechenland:

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http://www.hh-violette.de/wp-content/uploads/2011/06/krokodile_fuer_griechenland.pdf

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„Ohne Skupel und Erbarmen“ beim FREITAG (hier)

Μήνυμα προς Άνγκελα Μέρκελ beim FREITAG  (hier)

„Griechenlands größte Firma flieht in die Schweiz“ beim SPIEGEL (hier)

So geht es den Griechen Stand Mai 2017 (hier)


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Author: Holger